Präambel
In Werken zu Menschen mit einer Hörbehinderung findet sich eine wahre Begriffsfülle für auf den ersten Blick identische Personengruppen, wenn z.B. Kinder mit gleichen Voraussetzungen als „gehörlos“, „resthörig“ oder „hochgradig hörgeschädigt“ bezeichnet werden oder wenn die Bezeichnungen „Hörgeschädigte“, „Gehörlose und Schwerhörige“, „Menschen mit einer Hörbehinderung“ oder „Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung“ als Oberbegriff für die gleiche Personengruppe verwendet werden. Dies hat zahlreiche Gründe. Zum einen hat das Fach eine über 200jähige Institutionengeschichte, so dass sich traditionell auch Konzepte und Bezeichnungen geändert haben, aber dann teilweise noch bis in die Gegenwart nachwirken, zum anderen befassen sich eine Reihe von Fachdisziplinen mit der Personengruppe, wie z.B. Pädagogik, Medizin, Soziologie und Sprachwissenschaft, die auch jeweils eigene Fachbegriffe verwenden. Erschwert wird das Ganze dadurch, dass teilweise veraltete Begriffe (wie z.B. „taubstumm“) in der Alltagssprache noch, zumeist arglos verwendet werden. Dies führt dazu, dass es auch in fachlichen Diskussionen gelegentliche Verwirrungen darüber gibt, wovon eigentlich die Rede sein soll, und dass es insbesondere von Selbstbetroffenen Abwehrreaktionen geben kann gegenüber Begriffen, die sie als diskriminierend wahrnehmen, ohne dass diese Dimensionen dem Gegenüber immer vollständig bewusst sein muss. Diese Ausgangslage führt dazu, dass zu Beginn einer Darstellung in diesem Bereich eine Begriffsklärung notwendig und eine Begründung, warum diese Begriffe so verwendet werden. Damit soll keinesfalls ausgedrückt werden, dass andere Begriffe an sich falsch sind, sondern nur, dass sie in ihrer kontextuellen Verwendung genauso begründet werden müssten.
Die Begrifflichkeiten in der folgenden Darstellung orientiert sich an der ICF (International classification of function, ability and health) als dem zentralen Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation von 2001 (DIMDI 2005), das auch für das hiesige Bildungs- und Sozialsystem richtungsweisend ist. Demnach ist eine Behinderung nicht primär eine Eigenschaft einer individuellen Person, sondern sie entsteht durch die Einschränkung der Partizipation (Teilhabe) an der Gesellschaft. Behinderungserfahrungen spielen sich also immer in einem Wechselspiel von personalen Faktoren und Umweltfaktoren ab. Die Lebenssituation von Menschen mit einer Behinderung lässt sich auf drei Ebenen beschreiben, der biologischen Ebene (Körperfunktionen und –strukturen), der psychologischen Ebene (Aktivität) und der gesellschaftlichen Ebene (Teilhabe). Ein solches bio-psycho-soziales Modell ermöglicht es, auf allen Ebenen „positive“ und „negative Aspekte“ zu beschreiben also z.B. auf der biologischen Ebene die „funktionale und strukturelle Integrität“ und die „Schädigung“. Wenn man also den Begriff der „Hörschädigung“ verwendet, bezieht sich das nur auf diesen Teilbereich, nicht aber auf die Gesamtsituation eines Menschen; diese ist der ICF folgend am besten mit dem Begriff „Hörbehinderung“ zu fassen.
Aufgrund dieser Modellbildung wird im Folgenden der Oberbegriff „Menschen mit Hörbehinderung“ gesprochen. Für den Bildungsbereich fallen hierunter Menschen mit einer Gehörlosigkeit, Schwerhörigkeit oder AVWS (auditiv-verbale Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung). Im schulischen Kontext ist zudem relevant, ob bei den Kindern ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt „Hören und Kommunikation“ festgestellt worden ist. Auch hier gibt teilweise bundeslandspezifische Ausdifferenzierungen, aber allgemein beschreibt dieser die rechtliche Voraussetzung dafür, im Bildungsbereich eine besondere Unterstützung zu erfahren.