Definition

Der Begriff Strukturierung (bezogen auf Schulunterricht) ist in der Fachliteratur nicht definiert (Lipowsky 2020) und umfasst in einigen Fällen mehrere Teilbegriffe. Im Folgenden wird er im Sinne der didaktischen Strukturierung nach Lipowsky gefasst, also in die inhaltliche Aufbereitung des Unterrichts in Teilschritte und eine für die Schüler*innen wahrnehmbare Gliederung und Phasierung des Unterrichts. Die didaktische Strukturierung „setzt einen sorgfältig geplanten Unterricht voraus und kann somit als wichtige Voraussetzung für angemessene Anforderungen an die Lernenden begriffen werden“ (Lipowsky 2020).

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Relevanz für die Zielgruppe

Eine gute Strukturierung der Lernumgebung und des Unterrichts selbst kann in hohem Maße dazu beitragen, dass Schüler*innen mit Hörbehinderung freie Kapazitäten sowohl für das Sprachverständnis als auch für den Lerninhalt haben, da über die Struktur der Lernumgebung und des Unterrichts die organisatorischen Elemente so klar gestaltet sind, dass hierfür keine Kapazität auf Seiten der Schüler*innen benötigt wird und die (sprachlich) vermittelten Lerninhalte in den Mittelpunkt rücken können.

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Wissenschaftliche Grundlagen

Generell zeigen bereits Studien mit Kindern ohne Hörbehinderung, dass Strukturierung zu einem gelingenden Unterricht beiträgt. Bündelt man etwa die Variablen, die nach der Metastudie von Hattie (2014) in den Bereich der didaktischen Strukturierung fallen (z. B. direkte Instruktion, problemorientiertes Lernen), so zeigt sich, dass der didaktischen Strukturierung ein allgemein positiver, in seiner Ausprägung dabei deutlich unterschiedlicher Effekt auf den Lernerfolg zugeschrieben wird (z. B. Direkte Instruktion d=0.4, problemorientiertes Lernen d=0.15) (Maurer 2016).

Für Kinder und Jugendliche mit einer Hörbehinderung kann didaktische Strukturierung in Verbindung mit Visualisierung ansonsten lautsprachlicher Lerninhalte eine noch höhere Bedeutung haben, weil die Kinder und Jugendlichen Studien zufolge potentiell geringere Kapazitäten im Arbeitsgedächtnis und nur eingeschränkte Möglichkeiten der geteilten Aufmerksamkeit haben. Wenn z.B. auditive und visuelle Reize gleichzeitig im Unterricht verarbeitet werden, kann das insgesamt zu einer kognitiven Überlastung führen (Hintermair et al. 2014).

Eine gute Strukturierung der Lernumgebung und des Unterrichts selbst kann daher dazu beitragen, dass Schüler*innen mit Hörbehinderung dabei entlastet werden, Sprach- und Lerninhalte gleichzeitig zu verarbeiten. Die organisatorischen Elemente sind dabei über die Struktur der Lernumgebung und des Unterrichts so klar gestaltet, dass hierfür wenig Kapazität auf Seiten der Schüler*innen benötigt wird und die Lerninhalte in den Mittelpunkt rücken können.

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Prinzipien und Maßnahmen

Die Strukturierung von Unterricht lässt sich in folgende Prinzipien aufgliedern (Stecher & Rauner 2019):

  • Vorbereitete Lernumgebung
  • Phasierung
  • Gestaltung von Phasenübergängen
  • Transparenz zu Ablauf und Zielen
  • Ergebnissicherung

Diese Prinzipien werden im Folgenden genauer beschrieben.

 

Vorbereitete Lernumgebung

In einer vorbereiteten Lernumgebung sollen Schüler*innen die Gelegenheit haben zu lernen, zu forschen, soziale Erfahrungen zu machen und sich wohl zu fühlen. Dazu muss die Lernumgebung drei Kriterien erfüllen: Sie muss strukturiert sein mit Blick auf eine räumliche, themenorientierte und dialogfördernde Gestaltung von Unterricht.

In einer räumlich strukturierten Lernumgebung ist eine klare Ordnung erkennbar: Vorhandene Funktionsecken (z. B. die Leseecke, Mathewerkstatt) sind klar zu erkennen, täglich benötigte Materialien haben einen festen Standort, sind deutlich gekennzeichnet und schnell greifbar. Auch eine Prüfstation zur Kontrolle der Hörsysteme sollte im Klassenraum vorhanden sein und ihren festen Platz haben, so dass die Schüler*innen z. B. einen Batteriewechsel selbständig und reibungslos durchführen können.

In einer themenorientierten Lernumgebung sind die aktuellen mittelfristigen Unterrichtsvorhaben der einzelnen Unterrichtsfächer erkennbar. So kann z. B. ein Thementisch gestaltet werden, auf dem passende Bücher (verschiedene Leseniveaus farblich gekennzeichnet) ausgestellt werden. Auch Plakate zum Thema (z. B. Fotos eines Lerngangs zu Beginn des mittelfristigen Unterrichtsvorhabens) bieten die Möglichkeit, konkrete Erfahrungen der Schüler*innen kontinuierlich aufgreifen zu können. Eine Pinnwand gibt eine Übersicht über die Fragen der Schüler*innen zum Thema, welche im Laufe der Unterrichtssequenz gemeinsam oder individuell bearbeitet und beantwortet werden.

Eine dialogfördernde Lernumgebung begünstigt die Kommunikation der Schüler*innen untereinander. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie z. B. im Rahmen einer Murmelphase oder beim Kooperativen Lernen einen Austausch untereinander ohne einen Wechsel der Sozialform ermöglicht. Darüber hinaus sollte eine dialogfördernde Lernumgebung für Schüler*innen mit dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation optimale Verstehensbedingungen schaffen. Hierzu gehört die Optimierung der Raumakustik zur Verkürzung der Nachhallzeit, der konsequente Einsatz einer Übertragungsanlage sowie die Nutzung einer Lärmampel bei Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeiten ebenso wie das Schaffen notwendiger visueller Wahrnehmungsbedingungen wie beispielsweise eine Sitzordnung, die eine störungsfreie Face-to-Face-Interaktion zulässt.

 

Phasierung

Die Phasen eines Unterrichts sind so etwas wie die Kapitel eines Buches, welche den Aufbau einer Unterrichtssequenz maßgeblich bestimmen. Weil Schüler*innen besser lernen, wenn sie klare Instruktionen erhalten und Bescheid wissen, was zu tun ist, ist es wichtig, jede Phase einer Stunde mit einer eigenen klaren „Kapitelüberschrift“ zu versehen, aus der hervorgeht, worum es inhaltlich in der jeweiligen Phase geht und was der Inhalt mit der übergeordneten Frage- bzw. Problemstellung der Unterrichtssequenz zu tun hat. Es lohnt sich, die „Überschriften“ der einzelnen Unterrichtsphasen schüler*innengerecht zu formulieren, damit die Schüler*innen eine Vorstellung davon entwickeln können (Unruh & Petersen 2011).

Für eine sowohl schüler*innenorientierte als auch gleichermaßen inhaltsbezogene Phasierung einer Unterrichtssequenz ist es erforderlich:

  • den Lerngegenstand der Unterrichtssequenz in seiner Sachstruktur, d. h. seinen sachlogischen Aufbau, zu analysieren und einen entsprechenden sachlogischen Aufbau der Lehr-Lern-Sequenzen zu schaffen
  • eine Passung zwischen dem Lerngegenstand und den Lernvoraussetzungen der Schüler*innen (im Sinne einer didaktischen Reduktion) vorzunehmen
  • auf dieser Basis für jede Unterrichtsphase Etappenziele zu formulieren und an Phasenübergängen (Gelenkstellen) zu überprüfen, ob diese von allen Schüler*innen erreicht werden konnten

 

Gestaltung von Phasenübergängen

Nur durch eine wirksame Verzahnung der einzelnen Unterrichtsphasen bleibt der inhaltliche rote Faden für die Schüler*innen erkennbar. Daher muss auf die Gestaltung der Phasenübergänge ein besonderes Augenmerk gelegt werden.

Grundsätzlich kann bei der Gestaltung von Phasenübergängen zwischen (ritualisierten) Phasentrennern und Gelenkstellen unterschieden werden:

 

Transparenz bzgl. der Ziele und des Ablaufs

Im Unterricht Transparenz bzgl. der Ziele und des Ablaufs herzustellen schafft vor allem für Schüler*innen mit Hörbehinderung einen Rahmen von Klarheit und Verlässlichkeit.

Zieltransparenz als Grundvoraussetzung für zielgerichtetes und selbständiges Schüler*innenhandeln sichert die Lehrperson, indem sie:

  • die (gemeinsam mit den Schüler*innen erarbeitete) Problem- oder Fragestellung herausstellt und visualisiert
  • transparent macht, welche Kenntnisse/Kompetenzen die Lernenden in der Unterrichtssequenz erwerben sollen

Den Ablauf transparent zu machen bedeutet, den Schüler*innen einen Überblick darüber zu geben:

  • in welchen Sozial- und Arbeitsformen gearbeitet wird
  • wann Zuhörphasen und Hörpausen sind, bzw. wann die Übertragungsanlage eingesetzt wird
  • wie viel Zeit für die jeweilige Phase zur Verfügung steht, z. B. durch einen „Time-Timer“ (Tischuhr mit Zeitablaufscheibe)
  • in welcher Phase wir uns gerade befinden, z.B. mit einem verschiebbaren (roten) Pfeil

 

Ergebnissicherung

Die Ergebnissicherung zum Abschluss einer Unterrichtssequenz kommt häufig zu kurz. Dabei bietet sich gerade diese Unterrichtsphase besonders dazu an, „die Ernte einzufahren“ (Unruh & Petersen 2011) – also gemeinsam mit den Schüler*innen den Blick auf ihren individuellen Lernzuwachs zu richten.

So kann die Ergebnissicherung genutzt werden, um:

  • die Problem- oder Fragestellung der Unterrichtssequenz zu beantworten
  • Unterrichtsinhalte zusammenzufassen und zu wiederholen
  • Ergebnisse zu dokumentieren
  • neu Gelerntes einzuüben bzw. anzuwenden
  • einen Transfer herzustellen
  • den Lernerfolg zu kontrollieren

Voraussetzung für eine effektive Ergebnissicherung ist die kognitive und sprachliche Aktivierung aller Schüler*innen in dieser Phase.

 

In der folgenden Übersicht finden Sie Maßnahmen, die zur Umsetzung der oben aufgeführten Prinzipien zur Strukturierung beitragen können.

Checkliste: Strukturierung

Sorgen Sie für eine vorbereitete Lernumgebung, indem Sie diese strukturiert, themenorientiert und dialogfördernd gestalten.

Stellen Sie die Passung zwischen Lerngegenstand und Lernvoraussetzungen her, indem Sie auf eine schüler*innenorientierte und inhaltsbezogene Abfolge, Länge und Gestaltung der Unterrichtsphasen achten.

Sorgen Sie für Transparenz, indem Sie den Schüler*innen sowohl die Ziele als auch den Ablauf des Unterrichts offenlegen.

Kennzeichnen Sie Phasengrenzen, indem Sie Rituale nutzen.

Machen Sie den Kompetenzzuwachs der Schüler*innen sichtbar, indem Sie (Teil-)Ergebnisse sichern.

Literatur und Links

Hattie J (2014) Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen. Schneider Verlage, Hohengehren

Hintermair M, Knoors H, Marschark M (2014) Gehörlose und schwerhörige Kinder unterrichten. Psychologische und entwicklungsbezogene Grundlagen. Median, Heidelberg

Lipowsky F (2020) Unterricht. In: Wild E & Möller J (Hrsg.): Pädagogische Psychologie. Springer, Berlin

Maurer C (2016) Strukturierung von Lehr-Lern-Sequenzen. Studien zum Physik- und Chemielernen. Band 119. Logos, Berlin

Unruh T & Petersen S (2011) Guter Unterricht. Praxishandbuch. AOL, Hamburg

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Praxisbeispiele

Dialogfördernde Lernumgebung

Gestaltung einer dialogfördernde Lernumgebung
(Klassenraum Nicole Bohnenstengel & Romina Rauner 2014)

 

Phasierung von Unterricht

Visualisierung der Phasen des Unterrichts einer Sequenz, inkl. der Sozialformen - der Pfeil signalisiert die aktuelle Phase
(Unterrichtsbeispiel Anna Meißner 2015)

 

(Unterrichtsbeispiel Tina Bender 2011)

 

Transparenz bzgl. der Ziele

(Unterrichtsbeispiel Tina Bender 2011)

 

Mögliche Formen der Ergebnissicherung

Faultier Eugen

Das Faultier Eugen kommt in einer ersten Klasse in jeder Lehr-Lern-Sequenz im Fach Sachunterricht mit der Lehrperson ins Klassenzimmer. Da es sich bei Eugen aber um ein Faultier handelt, schläft er sofort nach dem Festhalten der zentralen Frage- bzw. Problemstellung der Sequenz ein und wacht erst zur Ergebnissicherung wieder auf.

Die Schüler*innen erklären Eugen dann, was sie in der Sequenz gelernt haben, Sie wenden sich dazu mit dem Satz: „Lieber Eugen, wenn du nicht geschlafen hättest, dann hättest du heute (neu) gelernt, dass…“.

 

 

Löchergeschichte

In einer zweiten Klasse werden im Fach Mathematik die geometrischen Grundformen erarbeitet. Zur Ergebnissicherung erzählt die Lehrperson die „Geschichte vom kleinen blauen Quadrat“ als Löchergeschichte, wobei die Schüler*innen aus ihren Umschreibungen anhand von semantischen und phonologischen Abrufhilfen die fehlenden Wörter erraten und die Lücken der Geschichte füllen können.

 

„Stimmt es, dass…“-Quiz

In einer fünften Klasse wird im Unterrichtsfach Geschichte im Rahmen des mittelfristigen Unterrichtsvorhabens „Ägypten“ die Rolle des Nils für die Bevölkerung Ägyptens erarbeitet. Zur Ergebnissicherung bekommen je zwei Schüler*innen eine Quizfrage zum Thema und müssen sich über die richtige Antwort verständigen. Anschließend werden die Fragen an die jeweils anderen Teams gestellt. Nach einer Murmelphase gibt eine Schüler*in die Antwort und nutzt einen der beiden Satzanfänge: „Ja, weil…!“/“Nein, weil…!“.

(Unterrichtsbeispiele Anke Schiek, Romina Rauner & Kim Schmidt 2017)

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