Definition
Teamarbeit wird allgemein als ein zentrales Element für gelingende Schul- und Unterrichtsprozesse angesehen (Kullmann 2018). Im schulischen Kontext kann Teamarbeit dabei in vielen unterschiedlichen Konstellationen stattfinden: Z.B. die Zusammenarbeit von Kolleg*innen gleicher oder unterschiedlichen Profession (wie es z.B. im Rahmen inklusiver Settings oftmals der Fall ist) und ebenso die Zusammenarbeit mit Gebärdensprachdolmetscher*innen, mit Integrationshelfer*innen etc.
König & Schattenhofer verstehen den Begriff Teamarbeit dabei als eine Sammelbezeichnung für alle arbeits- und aufgabenbezogenen Gruppen, deren Mitglieder kooperieren müssen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen (König & Schattenhofer 2020). Ein Team ist demnach eine Gruppe von Personen, die entweder freiwillig oder aufgrund organisatorischer Umstände zusammenarbeiten und die sich für einen gemeinsamen Arbeitseinsatz engagieren, Aufgaben sowie Verantwortungen – mitunter angelehnt an unterschiedliche Kompetenzen – teilen und sich gegenseitig zur Verantwortung ziehen (Katzenbach & Smith 1998).
Relevanz für die Zielgruppe
Die Heterogenität der Schülerschaft an den Schulen nimmt kontinuierlich zu und das gilt im gleichen Maße auch für den Bereich des Förderschwerpunktes Hören und Kommunikation. Insgesamt ist eine hohe Vielfalt an Bedürfnissen, Begabungen, sozialen Herausforderungen und Lebensmodellen zu beobachten, die bei Schüler*innen mit einer Hörbehinderung beispielsweise durch unterschiedliche Grade des Hörverlustes und sprachliche Kompetenzen, Gewohnheiten und Förderbedarfe ergänzt werden. Der konstruktive Umgang mit dieser Diversität und die individuelle Förderung aller Schüler*innen gelingt häufig am effektivsten, wenn Lehrkräfte die Professionalität weiterer Fachleute nutzen und im gemeinsamen Diskurs und der gemeinsamen Tätigkeit die Förderung der Kinder und Jugendlichen verantworten (vgl. VBE 2016).
Somit ergeben sich für den Schulbereich oftmals multiprofessionelle Teams in denen z. B. Lehrkräfte gleicher oder verschiedener Lehrämter, Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen, Therapeut*innen, Schulbegleitungen etc. sowie speziell im Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation auch Gebärdersprachdolmetscher*innen zusammenarbeiten (vgl. Kaul 2018). Die Kooperation dieser Personengruppen erfordert ein gemeinsames Erarbeiten, Konzeptionieren und Handeln sowohl bezogen auf den Unterricht selbst als auch auf außerunterrichtliche Aktivitäten.
Wissenschaftliche Grundlagen
Nach Spieß (2004) und Gräsel et al. (2006) ist das Kernmerkmal der Zusammenarbeit eine von den Teampartner*innen gemeinsam getragene Aufgaben- und Zielorientierung. Diese ist intentional, kommunikativ und bedarf des Vertrauens. Das Gelingen der Teamarbeit hängt also maßgeblich von der Umsetzung dieser Merkmale ab.
Im Weiteren sollen daher diese Qualitätsmerkmale kurz skizziert werden:
Zunächst stellt sich den Beteiligten die Frage nach der Intention der Zusammenarbeit. Hier gilt es sowohl die zu verfolgende Zielsetzung auszuloten als auch die Aufgaben und Kooperationsinhalte und -gegenstände, sprich die Arbeitsteilung, festzulegen (vgl. Dizinger 2015). Die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Erwartungshaltungen und Ansprüchen an die Zusammenarbeit ist folglich elementar für eine funktionierende Teamarbeit.
Der Austausch über eben diese Aspekte erfolgt im gemeinsamen Gespräch. Die Kommunikation ist nach Spieß (2004) daher zentraler Bestandteil jeglicher Kooperation und dient der Koordination des gesamten Arbeitsprozesses.
Das Einlassen auf ein arbeitsteiliges Vorgehen setzt das Vertrauen in die weiteren Teammitglieder voraus, sich auf deren Aus- und Zusagen verlassen zu können. Werden beim arbeitsteiligen Arbeiten Tätigkeiten an andere Teammitglieder abgegeben, bedarf es weiterhin des Vertrauens, dass dieses nicht mit einem Kompetenzgerangel oder gar Kompetenzverlust einhergeht (vgl. Dizinger 2015). Gegenseitige Wertschätzung und Respekt sind hier sicherlich fundamental.
Neben der Qualität der Zusammenarbeit lassen sich verschiedene Niveaustufen der Kooperation definieren, wobei sich die genannten Qualitätsmerkmale in allen Niveaustufen wiederfinden lassen. Nach Marvin (1990) rezipiert in der deutschen Fassung von Lütje-Klose und Willenbring (1999) lassen sich vier Niveaustufen für kooperative Tätigkeiten multiprofessioneller Teams im schulischen Arbeitsfeld unterscheiden:
- Die Co-Activity bezeichnet ein Nebeneinanderherarbeiten, d. h. die Teampartner*innen haben getrennte Arbeitsbereiche gemäß ihrer Profession, die sie selbständig und ohne weitere Absprache mit anderen durchführen und sie verfolgen innerhalb ihres Arbeitsbereichs auch eigene Zielsetzungen. Dieses Vorgehen kann z. B. oftmals zwischen Lehrkräften und Therapeut*innen beobachtet werden.
- Im Sinne der Cooperation werden Absprachen über die Zielsetzungen innerhalb der Arbeitsbereiche getroffen, auch wenn die Arbeitsbereiche und Verantwortungen weiterhin getrennt bleiben. Ähnliches kann zum Beispiel auf Schulbegleitungen oder Gebärdensprachdolmetscher*innen zutreffen.
- Auf der Stufe der Coordination arbeiten die Kooperationspartner*innen eng zusammen und treffen klare Absprachen, allerdings agieren alle gemäß ihrer Aufgabenbereiche im Sinne ihrer Profession. So arbeiten z. B. viele Lehrkräfte der allgemeinen Schule und Förderschule im Rahmen des Gemeinsamen Lernens Eine Überschneidung der Tätigkeitsbereiche findet nicht statt.
- Auf der Ebene der Collaboration verschwinden gar die Abgrenzungen zwischen den ursprünglichen Aufgabenfeldern, so dass auch Tätigkeiten aus einem anderen Professionsbereich übernommen werden. Von außen betrachtet wäre hier nicht mehr zu erkennen, welche Person welcher Profession vertritt.
Abschließend sei angemerkt, dass die vier hier umrissenen Niveaustufen nicht als Hierarchie zu verstehen sind, sondern je nach Kontext alle Niveaustufen ihre Berechtigung haben.
Prinzipien und Maßnahmen
Immer dann, wenn Personen zu einem Team zusammenkommen, um gemeinsam zu arbeiten, finden typische Prozesse statt, die hier näher erläutert und mit Maßnahmen für die Umsetzung im Kontext Schule versehen werden sollen:
Teambildung
Alle Kolleg*innen eines multiprofessionellen Teams sind in ihren jeweiligen Fachgebieten hoch spezialisierte Fachleute. Aufgrund ihres individuellen beruflichen Hintergrundes findet von ihnen jedoch häufig eine unterschiedliche Bewertung von Fragen nach adäquaten Maßnahmen der schulischen Förderung statt. Es wird zum Teil auch auf andere Aspekte Wert gelegt und es gelten zum Teil andere Begründungszusammenhänge. Selbst die Bedeutung fachlicher Termini kann sich unterscheiden, werden doch zum Beispiel Begriffe wie etwa „Förderung“ und „Bildung“ aus Sicht der Sonderpädagog*innen und der Lehrer*innen der allgemeinen Schule mitunter anders definiert (Greiten 2014, Wischer 2014).
Aufgabe aller Beteiligten ist es daher zu Beginn ihrer Zusammenarbeit, zu einem Team zusammenzuwachsen (Dyrda 2007). Sie müssen hierfür eine gemeinsame Arbeitsgrundlage schaffen. Neben der Vereinbarung von Zielsetzungen und Aufgabenbereichen ist das Finden einer einheitlichen Sprachregelung in dem Zusammenhang genauso unverzichtbar wie das sachliche Ausloten von Einstellungen und Meinungen und das offene Klären möglicher Konfliktherde. Grundkenntnisse der Phasen der Teamentwicklung, z. B. nach Tuckman das "Forming – Storming – Norming – Performing" (Francis & Young 2007) ebenso wie daran anknüpfend Möglichkeiten des Teamentwicklungstrainings (Philipp 2006) und nicht zuletzt auch das Wissen über kommunikative Abläufe (Schulz von Thun 2011) sind folglich von hoher Bedeutung. Dementsprechend ist es dann möglich, eigene Verhaltensweisen im Teambildungsprozess zu reflektieren und gewinnbringend steuern zu können.
Offenheit allen Beteiligten gegenüber, ein sensibles Auftreten, ein Ausloten von systemimmanenten Regeln und Rollenverteilungen sind zu Beginn daher unabdingbar (Schneider 2015).
Zusammenfassend ergeben sich damit folgende Maßnahmen:
Teamarbeit:
Teamarbeit bietet die Chance, die unterschiedlichen Kompetenzen und Ressourcen aller Beteiligten zu nutzen, Aufgaben daraufhin sinnvoll zu verteilen und Belastungen somit zu reduzieren. Aus den verschiedenen Sichtweisen und spezifischen Expertisen kann eine multiperspektivische Betrachtung der schulischen und unterrichtlichen Prozesse hervorgehen, in der sämtliche Leitgedanken gleichermaßen vertreten sind. Die jeweiligen Meinungen, Ansätze und Ideen bereichern den Unterricht, Synergieeffekte können wirksam werden. Gleichwohl bedeutet die Arbeit im Team für den Einzelnen aber auch, zeitweise eigene Ansprüche relativieren und Kompromisse eingehen zu müssen. In jedem Fall erfordert eine funktionierende Teamarbeit klare Absprachen. In regelmäßigen Teamsitzungen müssen die Teammitglieder für alle verbindliche Regeln und Abläufe z. B. des Unterrichts besprechen, Aufgabenbereiche und -teilungen festlegen und sich darüber hinaus auch Zeit nehmen, die eigene Arbeit und die eigenen Befindlichkeiten zu reflektieren (Krämer-Kilic et al. 2014).
Innerhalb eines Teams hat jeder Einzelne die Möglichkeit, sich mit seinen eigenen fachlichen wie persönlichen Qualitäten einzubringen. Jedes Teammitglied übernimmt so seine eigene wichtige Rolle im Arbeitsprozess. Mögliche Teamrollen und deren Zusammenwirken wurden von Meredith Belbin eindrucksvoll beschrieben und das Gelingen der eigenen Teamarbeit kann z. B. mit Hilfe der von ihm entwickelten Evaluationsbögen kritisch beleuchtet werden (Heinrich & Wall 2013).
Für die Teamarbeit in der Unterrichtsgestaltung, dem sogenannten Team-Teaching, haben sich verschiedene Formen der Zusammenarbeit bewährt, die von Lütje-Klose (2014) pointiert zusammengefasst wurden:
Eine Lehrkraft übernimmt die Moderation des Unterrichts, die andere beobachtet gezielt einzelne Schüler*innen, um deren Lernvoraussetzungen oder -strategien zu rekonstruieren bzw. zu diagnostizieren. Anschließend beraten die beiden Lehrkräfte über ihre Beobachtungen und planen gemeinsam die weitere Förderung. | |
Eine der beiden Lehrkräfte übernimmt die primäre Unterrichtsverantwortung, während die andere Lehrkraft nach einem abgesprochenen Plan oder auch spontan und nach Bedarf einzelne Schüler*innen individuell unterstützt (z.B. bei der Bearbeitung von Aufgaben in Einzelarbeitsphasen). | |
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Die Lehrkräfte unterrichten je eine Schülergruppe zum gleichen oder auch einem anderen Unterrichtsgegenstand, haben aber aufgrund der kleineren Gruppengröße die Möglichkeit, individuelle Bedarfe differenzierter wahrzunehmen und darauf einzugehen. Ein leistungsdifferenziertes ebenso wie themendifferenziertes Vorgehen ist auf diese Weise folglich auch möglich. Dieses Vorgehen bietet sowohl die Möglichkeit der inneren als auch der äußeren Differenzierung. |
Beide Lehrkräfte arbeiten gleichberechtigt zusammen und ergänzen sich gegenseitig. Dabei sind sie so aufeinander eingespielt, dass sie je nach Bedarf und ihren jeweiligen Kompetenzschwerpunkten flexibel die Führung wechseln können. Diese Form erfordert das höchste Maß einer entwickelten Kooperationsbeziehung, sie bietet bei gutem Gelingen aber auch besonders effektive Fördermöglichkeiten. |
Je nach Unterrichtsthema, Zielsetzung und vor allem im Gemeinsamen Lernen auch organisatorischen Rahmenbedingungen bieten sich verschiedene Vorgehensweisen an, die in einer Teamsitzung immer konkret für die zu planenden Unterrichtsstunden besprochen und anschließend reflektiert werden müssen.
Zusammenfassend ergeben sich damit folgende Maßnahmen:
Literatur und Links
Bayerischer Rundfunk (2014) Inklusion an Regelschulen. [Sehen statt Hören-Sendung vom 6. 12. 2014].
Becker C & Meinhardt J (2013) Lernen mit Gebärdensprachdolmetschern. Überlegungen und Befunde zur aktuellen Praxis in Deutschland. In: Das Zeichen 95. S. 402–415
BGSD - Bundesverband der GebärdensprachdolmetscherInnen Deutschlands e.V. (2018) (Hrsg.) Berufs- und Ehrenordnung der Dolmetscher/ -innen und Übersetzer/ -innen des BGSD e.V. Online abrufbar unter https://bgsd.de/de/verband/berufs-und-ehrenordnung.html
Dizinger V (2015) Professionelle und interprofessionelle Kooperation von Lehrerinnen und Lehrern im Kontext schulischer Belastung und Beanspruchung. Online abrufbar unter https://d-nb.info/107098132X/34
Dyrda K (2007) Zusammen geht es besser – Teamarbeit in Schulen. VBE
Francis D & Young D (2007) Mehr Erfolg im Team: Ein Trainingsprogramm mit 46 Übungen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit in Arbeitsgruppen. Windmühle, Hamburg
Gräsel C, Fussangel K, Pröbstel C (2006) Die Anregung von Lehrkräften zur Kooperation - eine Aufgabe für Sisyphos? In: Zeitschrift für Pädagogik 52(2). S. 205 – 219
Greiten S (2014) Fördern ist … - Fördern aus Sicht von Sonderpädagogen und Regelschulpädagogen. In: Friedrich Jahresheft – Fördern. S. 30 – 31
Heinrich A &Wall J (2013) Teamrollen. Das Modell nach Belbin. Grin, München
Katzenbach J R & Smith D K (1998) Teams – der Schlüssel zur Hochleistungsorganisation. Heyne, München
Kaul T (2018) Weitere personelle Unterstützungsangebote. In: Leonhardt, Annette (Hrsg.): Inklusion im Förderschwerpunkt Hören. Kohlhammer, Stuttgart. S. 149 – 153
König O & Schattenhofer K (2020) Einführung in die Gruppendynamik. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg
Krämer-Kilic I, Albers T, Kiehl-Will A, Lühmann S (2014) Gemeinsam besser unterrichten. Teamteaching im inklusiven Klassenzimmer. Verlag an der Ruhr, Mülheim
Kullmann H (2018) Kooperation gestalten. Bedingungen und Typen multiprofessioneller Zusammenarbeit. In: Lernende Schule 81 (25). S. 4 – 7
Lütje-Klose B (2014) Kooperation in multiprofessionellen Teams – Fördern als gemeinsame Aufgabe in inklusiven Schulen. In: Friedrich Jahresheft – Fördern. S. 26 – 29
Lütje-Klose B & Willenbring M (1999) Kooperation fällt nicht vom Himmel. Möglichkeiten der Unterstützung kooperativer Prozesse in Teams von Regelschullehrerin und Sonderpädagogin aus systemischer Sicht. In: Behindertenpädagogik, 38. S. 2 – 31
Marschark M, Sapere P Convertino C, Seewagen R (2005) Educational interpreting: Access and outcomes. In: Marschark M, Peterson R, Winston EA (Hrsg.) Sign Language Interpreting and Interpreter Education. Directions for Research and Practice. Oxford University Press, New York. S. 57 – 83
Marvin C A (1990) Problems in school-based speech language consultation and collaboration services: Defining the terms and improving the process. In: Secord W A, Wiig E H (Hrsg.) Collaborative Programs in the Schools. Concepts, Models, and Procedures. Jovanovich, Harcourt Brace. S. 37 – 47
Philipp E (2006) Teamentwicklung in der Schule. Konzepte und Methoden. Beltz, Weinheim
Schneider O (2015) Gemeinsam arbeiten. Eine Arbeitsplatzbeschreibung des Hörgeschädigtenpädagogen im Rahmen eines inklusiven Settings In: Hörgeschädigten Pädagogik 4. S. 154 – 161
Schulz von Thun F (2011) Miteinander reden. Rowohlt, Reinbek
Spieß E (2004) Kooperation und Konflikt. In: H. Schuler (Hrsg.): Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich D, Organisationspsychologie. Hogrefe, Göttingen. S. 193 – 247
Voss K & Kestner K (2012) Tipps und Leitlinien für Gebärdensprachdolmetscherinnen an Regelschulen. Online abrufbar unter http://www.kestner.de/n/elternhilfe/verschiedenes/Regelschule_Leitfaden_Dolmetscher.pdf
VBE (2016) Multiprofessionelle Teams in der Schule – Positionspapier. Online abrufbar unter https://www.vbe.de/fileadmin/user_upload/VBE/Themen/Positionen/2017_11_17_Position_Multiprofessionelle-Teams.pdf
Wischer B (2014) Was heißt eigentlich Fördern? Zu den Konturen, Facetten und Problemen des Begriffs. In: Friedrich Jahresheft – Fördern. S. 6 – 9
Praxisbeispiele
Einsatzfelder des Team-Teachings
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Geeignete Situationen:
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Geeignete Situationen:
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Geeignete Situationen:
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Geeignete Situationen:
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Hinweise zum Unterricht mit Gebärdensprachdolmetscher*innen
Im SGB IX von 2001 und im Behindertengleichstellungsgesetz von 2002 wird die Deutsche Gebärdensprache (DGS) in Deutschland erstmal offiziell als eigenständige Sprache anerkannt und mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention besteht seit 2009 ein Anrecht auf eine gebärdensprachliche Förderung, sowohl in der allgemeinen Schule als auch in Schulen für den Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation. Im Rahmen der Inklusion hat sich mittlerweile etabliert, dass dieses Recht für gehörlose und gebärdensprachliche Kinder durch die Begleitung von Gebärdensprachdolmetscher*innen abgesichert werden kann. Dies betrifft nur eine, aber stetig wachsende Minderheit von SuS – 2014 waren dies bereits 35 Kinder und Jugendliche bundesweit (Bayerischer Rundfunk 2014). Die Finanzierung hierfür müssen die Eltern beim jeweils zuständigen Sozialamt bzw. der Eingliederungshilfe beantragen. Mittlerweile werden in einzelnen Bundesländern auch Gebärdensprachdolmetscher*innen in Schulen für den Förderschwerpunkt Hören eingesetzt, wenn keine gebärdensprachkompetenten Hörbehindertenpädagog*innen für diese Klassen zur Verfügung stehen. Diese werden dann in der Regel vom Kultusministerium oder dem Schulträger beauftragt.
Gebärdensprachdolmetscher*innen haben die Aufgabe, zwischen allen Beteiligten sowohl korrekt und angemessen als auch kultursensibel und adressatengerecht in Deutscher Laut-, Schrift- und Gebärdensprache zu übersetzen. Hierbei haben sie Anforderungen der vom Bundesverband der Gebärdensprachdolmetscher*innen Deutschlands e.V. herausgegebenen Berufs- und Ehrenordnung (BGSD 2018), zu erfüllen, wie z. B. Gleichbehandlung und Respekt, Allparteilichkeit, Verschwiegenheit und Kollegialität. Im Kontext von Schule bedeutet dies, dass sie die lautsprachlichen Äußerungen der hörenden Lehrkräfte und Schüler*innen für die gehörlose und gebärdensprachliche Schüler*in übersetzten und andersherum deren gebärdensprachliche Äußerungen für die Lehrkräfte und den Rest der Klasse. Allerdings gibt im schulischen Kontext und in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen andere Herausforderungen und Aufgaben, als dies bei der Verdolmetschung von Erwachsenen der Fall ist (Marschark et al. 2005; Becker & Meinhardt 2013). So müssen sich die Gebärdensprachdolmetscher*innen dabei als Erwachsene automatisch auch zu pädagogischen Fragen verhalten und sind auch häufig die einzigen, denen didaktische Probleme auffallen können, die für ein gehörloses Kind entstehen, wenn der Unterricht der allgemeinen Schule gar nicht an dessen Bedürfnisse angepasst ist (z. B. bei Klassenraumkommunikation, dem Schriftspracherwerb, dem Musikunterricht, dem Fremdsprachenunterricht etc.). Da die meisten Gebärdensprachdolmetscher*innen keine pädagogisch-didaktische Ausbildung haben, fehlt ihnen dann ggf. das notwendige Fachwissen, um diesen immanenten Rollenkonflikt aufzulösen. Die entsprechenden Empfehlungen von Voss & Kestner (2012) für die Gebärdensprachdolmetscher*innen an allgemeinen Schulen stellen einen ersten Versuch dar, den Kolleg*innen mehr Handlungskompetenzen an die Hand zu geben, können aber nicht als eine definitive Leitlinie angesehen werden und sind insbesondere nicht auf dem aktuellen fachlichen Stand der Hörgeschädigtenpädagogik formuliert.
Für die Arbeit von Gebärdensprachdolmetscher*innen an allgemeinen Schulen heißt dies, dass es eine permanete und klare Absprache mit den jeweiligen Kolleg*innen der allgemeinen Schule geben muss, in der die Verantwortungen für die Bedürfnisse des gehörlosen Kindes und seiner hörenden Klassenkamerad*innen geklärt werden müssen, die über die reine Verdolmetschung hinausgehen. Außerdem wäre es hilfreich, eine Hörbehindertenpädagog*in für die fachliche Beratung hinzuziehen, etwa im Rahmen des sonderpädagogischen Dienstes. Die jeweiligen Lösungen in dem Team können dann auch je nach Situation des Kindes oder Jugendlichen und der Teamkonstellation unterschiedlich ausfallen.