Definition

Unter Kommunikationsförderung und Förderung der Sprachentwicklung werden im Kontext der Hörbehindertenpädagogik alle Maßnahmen und Hilfen verstanden, die dazu beitragen, die Sprach- und Dialogfähigkeit der betroffenen Personen sicherzustellen und kontinuierlich zu erweitern.

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Relevanz für die Zielgruppe

Sprache wird stets durch Kommunikation mit Bezugspersonen im Alltag erworben, weitgehend unbewusst, intuitiv und beiläufig. Bei Kindern mit Hörbehinderung ist dies je nach Hörverlust, Versorgungsform oder Inputsprache unter Umständen anders, so dass sprachliche Informationen deutlich bewusster und konzentrierter von den Kindern erworben werden müssen (Pospischill 2018). Das betrifft auch pragmatische Fähigkeiten wie Ironie verstehen, Metaphern nutzen, zwischen den Zeilen lesen etc.

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Wissenschaftliche Grundlagen

Die Sprachentwicklung verläuft bei Kindern mit Hörbehinderung ausgesprochen heterogen und kann häufig nicht vorhergesagt werden (Kaul 2018, Hoffmann & Schäfer 2020). Es können im Laufe der Entwicklung Einschränkungen in Rezeption und Produktion von Sprache in unterschiedlicher Ausprägung auftreten, wobei wiederum nicht alle Kinder gleichermaßen betroffen sein müssen.

Folgende Bereiche können hierbei betroffen sein (mit stark vereinfachter Erläuterung):

Bekannte Einflussfaktoren auf den Verlauf der Sprach- und Kommunikationsentwicklung sind bei Kindern mit Hörbehinderung u. a.

  • Erwerbszeitpunkt des Hörverlusts/ Ertaubungsdauer.
  • Grad des Hörverlusts.
  • Art der Hörsystemversorgung, Zeitpunkt der Versorgung.
  • Anatomische Faktoren.
  • Umweltfaktoren, wie z. B. das zeitige Vorhandensein einer hörbehindertenspezifischen Frühförderung, Förderung durch die Eltern.
  • Früher Einsatz von Gebärdensprache bei gebärdensprachorientierten Kindern bzw. als Teil einer bimodal-bilingualen Förderung.
  • Vorhandensein von Zusatzbeeinträchtigungen.
  • weitere kindbezogene, individuelle Faktoren.

Neben der Erschließung sprachlicher Kompetenzen kann zusätzlich der Erwerb von Weltwissen für Kinder mit Hörbehinderung herausfordernd sein, also das „externe Wissen“, Hintergrundwissen bzw. Wissen über Zusammenhänge (Schründer-Lenzen 2013). Auch dieses Wissen wird beiläufig, d. h. inzidentell, durch Beobachtungen und begleitende Sprachhandlungen im Alltag erworben und bedarf eigentlich keiner spezifischen Instruktion (Kaul 2018). Kinder mit Hörbehinderung müssen in vielen Fällen jedoch Strategien erlernen, neues Wissen aufzunehmen und mit ihrem Vorwissen zu verknüpfen. Dazu gehören z. B. das Aufmerksam machen auf bestimmte Informationen und die Sicherstellung des Verständnisses. Hier sind Lehrkräfte besonders gefordert.

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Prinzipien und Maßnahmen

Damit Kinder mit einer Hörbehinderung positive Kommunikationserfahrungen sammeln können, ist es besonders wichtig darauf zu achten, dass sie ab einem sehr frühen Alter ein vollständiges Sprachsystem (d. h. Lautsprache, Gebärdensprache) präsentiert bekommen. Ähnlich wie bei Kindern ohne Hörbehinderung sollten Bezugspersonen sehr aufmerksam die Interaktionen mit dem Kind begleiten, idealerweise durch Eröffnung, d. h. durch Folgen der Initiative des Kindes, durch die Bestätigung des Empfangs der kindlichen Mitteilung, durch Aufrechterhaltung der Interaktion (z. B. durch Zustimmung, Turn-Wechsel, Bestätigung) und durch die Markierung des Abschlusses einer kommunikativen Handlung (Hoffmann & Schäfer 2020).

Sprachentwicklung und Kommunikation können auch im späteren Verlauf der Entwicklung, z. B. im schulischen Kontext, unterstützt und gefördert werden durch (Stecher 2011, Hoffmann & Schäfer 2020):

  • gezielte Aktivierung von Vorwissen
  • Lebensweltbezug, Einordnung neuer Informationen
  • Strukturierung von Aufgaben (z. B. durch Visualisierung)
  • Handlungsorientierung
  • Dialogische Gesprächsführung
  • Stärkung von Bottom-up und Top-down-Prozessen
  • Stärkung von Merkfähigkeit und Gedächtnisprozessen, z. B. durch Mnemotechniken
  • Nutzung von technischem Zubehör (z. B. Übertragungsanlagen)
  • Eigene Stimme/ Stimmeinsatz (siehe → Lehrer*innensprache)
  • Sicherstellung des Verständnisses von Aufträgen und Anweisungen, Ermunterung zum Nachfragen
  • Kooperatives Lernen
  • Förderung von Interesse und Motivation
  • Ermöglichung von Erfolgserlebnissen
  • Feedback und Lob

Während der Gesprächs- bzw. Diskussionsrunde kann es zu verzögerten Beiträgen der Schüler*innen kommen. Aufgrund der Hörbehinderung benötigen die Schüler*innen mehr Zeit zur Hörverarbeitung, bevor sie sich mit der Antwort inhaltlich beschäftigen können. Dabei ist es hilfreich, den Schüler*innen Zeit zu geben und sie/ihn bei Bedarf von Lehrer*innenseite aktiv in das Unterrichtsgespräch mit einzubinden.

Ein gutes Sprachvorbild ist von entscheidender Bedeutung für die Förderung von Sprache und Kommunikation. Es gibt verschiedene Techniken, die von Bezugspersonen, z. B. Lehrkräften – unabhängig von der Sprachmodalität – eingesetzt werden können. Dies geschieht in vielen Fällen intuitiv, aber im Kontext von Hörbehinderung aufgrund von Verunsicherung (vor allem bei den Eltern) häufig nicht. Es kann daher Aufgabe der Lehrkraft sein, sich die Techniken bewusst zu machen und diese auch im Rahmen von Beratungen an andere weiterzugeben.

Zu den Strategien, die Bezugspersonen einsetzen können, die z. T. Gemeinsamkeiten aufweisen und mit zunehmender sprachlicher und kommunikativer Kompetenz des Kindes wieder ausgeblendet werden können (Bünder et al. 2015), gehören (zusammengestellt nach Hoffmann und Schäfer 2020):

Modellierungstechniken (sprachliche Zielmodelle, die den Fähigkeiten des Kindes stets einen kleinen Schritt voraus sind (Papousek 1994, Dannenbauer 1997)

  • Präsentation (Präsentation von Zielsätzen)
  • Parallelsprechen (Bestätigende Wiederholung des Gesagten)
  • Expansion (Erweiterung)
  • Korrektives Feedback (bestätigende Korrektur der kindlichen Äußerungen)

Ko-Konstruktion (Renner et al. 2019)

  • Verständnissichernde Reparaturen (Nachfragende Verständnissicherung, indem dem Kind durch eine Nachfrage angezeigt wird, dass noch eine Information fehlt)
  • Hint & Guess-Sequenzen (Kontextbasierter Vorschlag, der seitens des Kindes mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden kann und der Verständnissicherung dient)

Scaffolding (Willke 2018), Schaffen eines „Gerüsts“

  • Herstellung einer vorstrukturierten Situation, Bezugspersonen vermitteln den Unterschied zwischen wichtigen und redundanten Informationen, Hilfe beim Schließen von Lücken in der Kommunikation, Zuweisen einer aktiven Rolle, Unterscheidung zwischen bekannten und unbekannten Informationen (d. h. Offenlegung dessen, was die Bezugsperson ggf. schon weiß und was nicht)

Prompt Strategies (Willke 2018)

  • Expectant delay (Pausen, um den Turn-Wechsel zu markieren)
  • Open Ended Prompts (Stellen von allgemeinen oder fokussierten Fragen)
  • Event-Cast (Sprachliche Handlungsbegleitung durch die Bezugspersonen)
  • Open Questions (Stellen offener Fragen)
  • Recast (Wiederholung mit Variation im Wortgebrauch oder im Satzbau)
  • Redirect/ Prompted Imitation (Aktive Aufforderung zur Kommunikation mit Peers)
  • Scripted Narratives (Schaffung wiederkehrender Alltagssituationen in einer sprachlich festen Reihenfolge)

Die genannten Techniken tragen nicht nur zur Verbesserung der Sprach- und Kommunikationsentwicklung bei, sondern sollen auch aktiv die Beziehungsgestaltung fördern (Sirringhaus-Bünder 2011). Dies ist nicht allein für familiäre Bezugspersonen oder Freundschaften, sondern auch für Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung wichtig.

Neben dem Verhalten der Lehrkraft im Unterrichtsgeschehen gehören bei Kindern mit Hörbehinderung auch die Förderung des aktiven Zuhörens (Lauschens bzw. aktiven Schauens bei gebärdensprachorientierten Kindern) und die Erweiterung der Erzählfähigkeit (narrative Fähigkeit) zu den wichtigen Kompetenzen, die Sprach- und Kommunikationsentwicklung unterstützen. Dabei spielen insbesondere die Handlungsorientiertheit und Alltagsrelevanz eine besondere Rolle, um das Gelernte zu vertiefen (Stecher & Rauner 2019).

In der folgenden Übersicht finden Sie Maßnahmen, die zur Förderung der Kommunikation und der Sprachentwicklung beitragen können:

Checkliste: Kommunikation und Sprachentwicklung

Erheben Sie zu Beginn der Behandlung eines neuen Themas im Unterricht das Vorwissen bzw. die Präkonzepte der Schüler*innen, um sowohl sprachlich als auch inhaltlich daran ansetzen zu können.

Sammeln Sie Schüler*innenfragen zum aktuellen Unterrichtsthema.

Sichern Sie konsequent das Sprach- und Textverständnis der Schüler*innen, z. B. bei Arbeitsaufträgen.

Bieten Sie Ihren Schüler*innen immer wieder die Möglichkeit, in dialogischen Austausch miteinander zu kommen, z. B. im Rahmen kooperativer Arbeitsformen.

Nutzen Sie im Unterricht Techniken zur Verbesserung der Sprach- und Kommunikationsentwicklung (z. B. Modellierungstechniken, Scaffolding, …).

Verstärken Sie Nachfragen Ihrer Schüler*innen positiv und spezifisch, z. B. „Toll, da hast du genau nachgefragt!“).

Stellen Sie als Lehrperson wo möglich offene Fragen oder geben Sie Impulse, die das Denkfeld Ihrer Schüler*innen erweitern.

Wenden Sie so oft wie möglich das "x+3–Prinzip" an. Das bedeutet, dass möglichst drei Schüler*innen zu Wort kommen, bevor sie sich als Lehrperson wieder inhaltlich in das Gespräch einbringen.

Geben Sie Zeit zur Hörverarbeitung und zur inhaltlichen Auseinandersetzung/ Verknüpfung.

Literatur und Links

Bünder P, Sirringhaus-Bündner A, Helfer A (2015) Lehrbuch der MarteMeo-Methode. Entwicklungsförderung mit Videounterstützung, 4., überarbeitete Auflage. Vandenhock & Ruprecht, Göttingen

Dannenbauer FM (1997) Grammatik. In: Baumgartner S, Füssenich I (Hrsg.) Sprachtherapie mit Kindern. Reinhardt, München, S. 123 – 203

Hoffmann V & Schäfer K (2020) Kindliche Hörstörungen – Diagnostik, Versorgung, Therapie. Springer, Heidelberg

Kaul T (2018) Lautspracherwerb. In: Leonhardt A (Hrsg.) Inklusion im Förderschwerpunkt Hören. Kohlhammer, Stuttgart, S. 67 - 76

Papousek M (1994) Vom ersten Schrei zum ersten Wort – Anfänge der Sprachentwicklung in der vorsprachlichen Kommunikation. Huber, Bern

Pospischill M (2018) Verstehen ermöglichen. In: Leonhardt A (Hrsg.) Inklusion im Förderschwerpunkt Hören. Kohlhammer, Stuttgart, S. 158 – 165

Renner R, Hörmeyer I, Hoffer L (2019) Ko-Konstruktion erkennen und verstehen – eine Analyse verschiedener Ko-Konstruktionstechniken in der Unterstützten Kommunikation. Sprache Stimme Gehör 43(02), S. e1 – e7

Schründer-Lenzen A (2013) Schriftspracherwerb. Springer, Wiesbaden

Sirringhaus-Bünder A (2011) Marte Meo – videogestützte Beratung und systemische Perspektive. In: Hawellek C, von Schlippe A (Hrsg) Entwicklung unterstützen – Unterstützung entwickeln: Systemisches Coaching nach dem Marte-Meo-Modell, 2. Auflage. Vandenhock & Ruprecht, Göttingen, S. 227 – 241

Stecher M (2011) Guter Unterricht bei Schülern mit einer Hörschädigung. Median, Heidelberg

Stecher M & Rauner R (2019) Unterrichtsqualität im Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation. Median, Heidelberg

Willke M (2018) Scaffolding in der Unterstützten Kommunikation – Evaluation eines Fortbildungsprogramms zum Unterstützungsverhalten von Bezugspersonen unterstützt kommunizierender Kinder und Jugendlicher im Kontext von Erzählsituationen. Inaugural-Dissertation, Universität zu Köln. Online abrufbar unter: https://kups.ub.uni-koeln.de/8084/1/DissWillkeScaffoldingUK.pdf

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Praxisbeispiele

Möglichkeiten, um mit Ihren Schüler*innen in den dialogischen Austausch zu kommen:


Initiieren Sie durch turnöffnenende Gespräche ein Gespräch zwischen Ihren Schüler*innen.

Sorgen Sie dafür, dass Ihre Schüler*innen das Gespräch eigenständig fortsetzen.

 


Initiieren Sie Redeketten zwischen Ihren Schüler*innen.

 


Fordern Sie Ihre Schüler*innen heraus, den Gesprächen der Mitschüler*innen aufmerksam zu folgen.
Binden Sie sie z.B. mit besonderen Aufgaben in den Kommunikationsprozess ein.

 

Möglichkeiten, das Verständnis Ihrer Schüler*innen zu überprüfen:

Ideen hierzu finden Sie bei den Praxisbeispielen zur Lehrer*innensprache.

 

Möglichkeiten, Präkonzepte Ihrer Schüler*innen zu erheben:

Ideen hierzu finden Sie bei den Praxisbeispielen zur kognitiven Aktivierung.

 

Möglichkeiten für Modellierungstechniken:

Ideen hierzu finden Sie bei den Praxisbeispielen zur Lehrer*innensprache.

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